Sonja Fröse

Fachautorin für Pflege

Selbstpflege-Tagebuch für Sorgende und Pflegende Angehörige (SPA)

Selbstpflege-Tagebuch für Sorgende und Pflegende Angehörige (SPA)

Viele Sorgende und Pflegende Angehörige (SPA) fühlen sich überlastet, überfordert und alleine. Die ständige Belastung des Kümmerns, der Anwesenheit, des An-alles-Denkens raubt täglich Kraft und Energie. Wer sich um andere kümmert, sollte sich auch um sich selbst kümmern. Aber was, wenn die Zeit schon knapp und schwer planbar ist? Wenn man das Haus nicht verlassen möchte oder nicht kann?

Tagebuchschreiben! Nur für sich selbst. Es ist eine zeitunabhängige Beschäftigung, es reflektiert, beruhigt und hilft Struktur in die Gedanken zu bekommen. Es unterliegt keinerlei Regularien oder Schemata.  Es ist eines der intimsten Dinge, wenn man dort seine eigenen Gedanken, Meinungen, Ängste und Wut, aber auch die eigenen Hoffnungen und Träume verewigt.

In einem Radio-Interview habe ich Anfang 2020 gehört, dass die Mutter der Tagesschausprecherin Linda Zervakis ihrer Tochter ihr Tagebuch zum Lesen gegeben hat, was mich tief berüht und beeindruckt hat, denn es zeugt von großem Vertrauen zwischen den beiden. Die Mutter habe es bereits in dem Wissen geschrieben, es später ihrer Tochter weiterzugeben.

Im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit und Senioren fällt vielen sicherlich zuerst das Pflegetagebuch ein, in dem die Tätigkeiten aufgeschrieben werden, die für den Betroffenen erbracht werden. Dabei könnte doch ein Tagebuch für die Sorgenden und Pflegenden Angehörige (SPA) ebenfalls Pflegetagebuch heißen. Besser noch „Selbstpflege-Tagebuch“ oder SPA-Buch.

Selbstpflege (im Englischen: Self care) geht leider im Pflegealltag häufig unter. Rückblickend auf eine Woche oder einen Monat fallen einem die vielen kleinen, guten Momente nicht ein und die Negativen überwiegen vielleicht. Das macht auf Dauer traurig oder verbittert.

Es gehört manchmal auch etwas Training dazu, diese guten Momente zu erkennen: Vielleicht der Duft der frisch gewaschenen Wäsche oder des gemähten Rasens, ein schönes Lied im Radio, der Mensch, der einem beim Einkaufen angelächelt hat, der reibungslose Ablauf der Körperpflege oder der selbständige Griff zum Getränk ohne vorige Erinnerung. Es gibt spezielle Glückstagebücher, die mit Fragen oder Sinnsprüchen eine gewisse Richtung vorgeben, in die die Einträge gehen sollen. Was hat Sie heute zum Lächeln gebracht? Sind Sie mit dem heutigen Tag zufrieden? Was haben Sie heute für sich selbst getan?

Wie wäre es mit der pflegebedürftigen Person zusammen ein Tagebuch zu schreiben? Wenn ich an die Pflegedokumentation denke, die täglich in den verschiedenen Pflegeeinrichtungen und Betreuungsdiensten geschrieben werden, wäre es doch interessant, häufiger Zitate einzufügen. Wie hat das Sommerfest gefallen? Was gibt es über das Mittagessen zu sagen? Stellen Sie sich einen Roman vor, der ebenfalls die Sichtweisen der einzelnen Personen zeigt. Wie haben Sie eine Situation erlebt und wie der/die Pflegebedürftige?

Mit dem Wissen von heute frage ich mich manchmal, wieso ich nicht häufiger nach den Meinungen oder Sichtweisen der Patient*innen gefragt habe. Wie störend fanden sie es, wenn die Tür zum Flur offengelassen wurde? Wie wohltuend oder sorgniserregend wurde die Lagerung im Bett empfunden oder das Raussetzen in den Sessel nach langem Liegen?

Über den psychologischen und zwischenmenschenlichen Aspekt hinaus bietet Tagebuchschreiben auch ganz konkrete physische Vorteile: Wer mit der Hand schreibt, fördert die Fingerfeinmotorik und Koordination. Das ist wichtig für den selbständigen Umgang mit Besteck oder für das Umblättern beim Lesen.  Außerdem bestätigen Studien, dass Tagebuchschreiben das Immunsystem stärkt.

Schreiben mit der Hand regt bestimmte Areale im Gehirn an. Es hilft uns, Situationen zu sortieren und zusammenzufassen. Dadurch kommen wir zur Ruhe und können Situationen aus einer gewissen Distanz betrachten.

Durch das Aufschreiben fördern wir unsere rhethorischen Fähigkeiten. Auf der Suche nach den passenden Wörtern darf gerne mal im Wörterbuch nachschlagen oder der eigenen Kreativität freien lauf gelassen werden oder gar für ein spezielles Gefühl ein neues Wort kreiert werden. William Shakespeare habe je nach Quelle über 1700 neue Wörter bzw. über 3000 Wörter und Redewendungen erfunden! (letztere Quelle ist ein Artikel des ehemaligen britischen Premierministers David Cameron in einem Essay der Welt vom 07.1.2016)

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