"Heute nicht!" - Der Umgang mit Verweigerung, Absagen und Fehlanfahrten
Seit Einführung des mobilen Telefons wurde mir einmal von einem Bekannten gesagt, sei die Quote an Absagen und Verspätungen zu Terminen enorm gestiegen. Früher hätte man sich bemüht, pünktlich zu sein - heute ruft man einfach an oder schickt eine Message. Manchmal aber nicht mal das und es wird nicht abgesagt. Während die eine Partei auf die andere wartet, ist es nicht nur ein wirtschaftlicher Verlust, sondern auch schade, um all den persönlichen und zeitlichen Aufwand, der mit der Planung für den nicht zustande gekommenen Termin somit zunichte gemacht wird.
Zeitgleich gibt es einen unglaublichen Bedarf an zugehenden Leistungen (also im Hausbesuch) generell und innerhalb des pflegerischen Sektors. Daher ist es sinnvoll, sich mit den Ausfallzeiten, Fehlfahrten und stattgefundenen Leistungsabsagen, also mit der cancel culture zu beschäftigen. Wie briingt man Menschen dazu, die Leistungen abzusagen und Fehlanfahrten oder Wartezeiten zu vermeiden?
Fragen Sie beim Absagen von Leistungen in der ambulanten und stationären Pflege nach den Gründen? Führen Sie Statistiken über Leistungsverweiger oder anderen organisatorischen Ausfällen? Wie vermeiden Sie Fehlanfahrten? Nutzen Sie bereits eine Selbstzahlergebühr für Fehlfahrten?
Herr M. hat die Körperpflege abgelehnt.“ Solche Sätze in Satz im Pflegebericht einer Pflegedokumentation, der immer wieder auftaucht. Leider steht selten der Grund der Ablehnung dahinter oder ob überhaupt ein Grund genannt wurde. Hat Herr M. Schmerzen oder fühlt er sich erschöpft, weswegen er auf die anstrengende Körperpflege verzichtet? Ist er der Meinung, sich schon selbst gewaschen zu haben oder keine Körperpflege zu benötigen? Vielleicht ist ihm kalt und er möchte seine warme Kleidung nicht ausziehen?!
Ursachenforschung zu Fehlanfahrten und Leistungsabsagen
Mit den jeweilen Antworten auf diese Fragen kann die Aussage, dass Herr M. die Körperpflege abgelehnt hat ganz anders bewertet werden. Während im stationären Bereich oder in einer Pflege-Wohngemeinschaft bei Schmerzen zu einem späteren Zeitpunkt erneut ein Angebot zur Körperpflege gemacht werden kann, ist es in der ambulanten Pflege schon schwieriger diese Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erneut anzubieten. Denn eine begründete (z. B. schmerzbedingte) Ablehnung der Körperpflege ist im PDCA-Zyklus anders zu bewerten als eine mitarbeiterbezogene oder grundlose Ablehnung. Demzufolge sollten auch entsprechend andere Rückschlüsse daraus gezogen werden.
Eine scheinbar grundlose Ablehnung von Leistungen oder gar einem ganzen Pflegeeinsatz können in manchen Fällen Angehörige noch erklären, gerade wenn es sich um zeitlich-organisatorische Gründe handeln mag. Manchmal kann es ganz logische und nachvollziehbare Gründe geben.
Manchmal liegt es schlichtweg an dem Wunsch, Hilfe nur von einem ganz bestimmten Menschen bei der Körperpflege anzunehmen. Im Zusammenhang mit der Selbstbestimmung jedes Einzelnen ist es völlig okay zu sagen, dass man eine Leistung nicht möchte. Gleichwohl sollte klar sein, dass entsprechend dem Pflegevertrag eine Vereinbahrung zwischen dem Pflegedienst und dem Patienten (Kunden, Klienten oder wie auch immer Sie es nennen mögen) besteht.
PDCA-Zyklus nutzen
Um beiden Parteien (dem Pflegebedürftigen und dem Leistungsanbieter) genüge zu tun, sollte der allgegenwärtige PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) eingesetzt werden: Zunächst also die Klärung, weshalb die Leistung abgelehnt worden ist. Optimal wäre, wenn bereits im Vorfeld eine Alternative zu der Fehlfahrt oder Leistungsablehnung gesucht werden können. Wie kann von Seiten der Einsatz- und Leitungsebene eruiert werden, was hinter der Ablehnung von Pflegeleistungen steckt?
In meiner Praxis erinnere ich mich an unzählige Ereignisse, wo Patient*innen auf die Körperpflege oder andere Leistungen verzichtet haben – mal mit, mal ohne nähere Begründung. Dabei könnten Einsatzleitungen und Tourenplaner in der ambulanten Pflege durch konkretes Nachfragen Fehlanfahrten und Unzufriedenheiten der Patient*innen bereits im Vorfeld vermeiden.
Individuelle Vorlieben berücksichtigen
Vielfach wird das Verschieben des Einsatzes auf eine andere Zeit oder einen anderen Tag eher akzeptiert, als ein Personalwechsel. So kann bei der Planung berücksichtigt werden, dass Herr M. möglichst an jedem Arbeitstag des Mitarbeiters B. von diesem versorgt wird. Möglich wäre, dass eine Ersatzkraft von Mitarbeiter B. vorgestellt wird, um die Sicherstellung der Versorgung zu gewährleisten.
Einzelne Teammitglieder haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, die von Patienten und Angehörige unterschiedlich wahrgenommen werden. Was fällt den Kunden auf? Sind hier Möglichkeiten zur Veränderung bzw. Verbesserung gegeben?
Echte/ verschuldete Fehlfahrt als Privatleistung
Eine ("echte") Fehlfahrt bedeutet eine Anfahrt beim Patienten, ohne dass eine Leistung erbracht worden ist und geht einher mit wirtschaftlichen Einbußen. Meist wurde der Einsatz nicht abgesagt oder zu kurzfristig. Mitarbeiter und Beförderungsart (Fahrzeug oder öffentliche Verkehrsmittel, Arbeitszeit) verursachen Kosten, die im Regelfall nicht mit Leistungsträgern abrechenbar sind. Auf Dauer kann sich ein wirtschaftliches Unternehmen Fehlfahrten nicht leisten, das heißt verschuldete Fehlfahrten müssen privat in Rechnung gestellt werden. Manche Pflegedienste handhaben dies schon seit Jahren so, während es andere nicht tun.
Es mag ungerecht oder unsozial klingen, wenn trotz knapper eigener finanzieller Mittel eine Fehlfahrt in Rechnung gestellt wird. Zeitgleich ist eine schlechte Bezahlung von Mitarbeitern in der Pflege ebenso unsozial. Es darf nicht sein, dass Pflegekräfte Fehlfahrten als Pause aufschreiben oder als Freizeit bewerten! (Hinzu kommen ja noch die Kosten der Anfahrt und die entsprechende Zeit, die der/ die Mitarbeiter*in für die Anfahrt braucht). Genauso wenig ist es in Ordnung, wenn eine Fehlfahrt nicht als Arbeitszeit bewertet wird.
Daher gilt es auch die Mitarbeiter*innen auf die Verluste durch eine echte Fehlanfahrt aufmerksam zu machen. Transparenz in alle Richtungen ist also wichtig, um echte Fehlanfahrten und Leistungsabsagen zu vermeiden.
Dabei muss eine verschuldete Fehlfahrt im Rahmen des Pflegevertrags definiert sein, um in Rechnung gestellt werden zu können. Denn nicht jede Fehlfahrt ist vom Patienten verschuldet und kann dann natürlich nicht in Rechnung gestellt werden! Beispielsweise zählt als verschuldete Fehlfahrt
- die fehlende Anwesenheit im vereinbarten Zeitraum ohne vorherige Absage des Einsatzes (ggf. durch Angehörige oder Vertreter)
oder
- wenn der Patient die Leistungen im vereinbarten Zeitraum schon selbst organisiert oder hat durchführen lassen, ohne entsprechend abzusagen.
Ganz wichtig: Es geht auf keinen Fall darum, Patienten abzuzocken! Wirtschaftliches Arbeiten in der Alten- und Krankenpflege muss mit der Bezahlung der erbrachten Leistung, das heißt im Fall einer Fehlfahrt mit der Anfahrt zum Patienten einhergehen. Dadurch werden Arbeitsplätze (mit entsprechender Vergütung) erhalten und sichergestellt. Kulanzbedingt kann die Absage des Einsatzes bis auf wenige Stunden vor dem Einsatz festgesetzt werden.
Ablehnung, Verzicht oder Verweigerung
Wenn eine Pflegeleistung oder ein kompletter Pflegeeinsatz nicht zustande kommt, bedarf es selbstverständlich einer entsprechenden Dokumentation in der Patientendokumentation. Ebenso wichtig ist daher, dass zwischen Ablehnung, Verzicht und Verweigerung unterschieden wird.
Versuchen Sie also abzuklären, ob Ihre Wahrnehmung mit der des Patienten übereinstimmt. Weshalb kommt es nicht zur Erbringung der vertraglich vereinbahrten Pflegeleistung? Wird grundlos oder gar vehement abgelehnt? Liegt es an organisatorischen oder personellen Gründen? Liegt eine willentliche Erklärung zu grunde oder wird auf die Leistung verzichtet?
Daher sollte es auch differenziert dokumentiert werden, um entsprechende Klarheit zu schaffen. „Herr M. hat schmerzbedingt auf eine Körperpflege verzichtet. Er versucht zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe seines Schwiegersohnes seinen Oberkörper zu waschen.“ klingt doch viel aussagekräftiger und nachvollziehbarer als nur ein Hinweis über die Ablehnung.
„Herr M. sagt den Früh-Einsatz für morgen ab, weil er durch seinen Schwiegersohn versorgt wird. Der Mittag-Einsatz soll regulär erfolgen. Weitergabe ans Büro/ Tourenplanung erfolgt.“
Verzicht (Nichtinanspruchnahme) bedeutet etwas prinzipiell zu wollen, aber es willentlich nicht zu tun.
Ablehnung bedeutet etwas willentlich nicht zu wollen und es deshalb nicht zu tun oder anzunehmen.
Verweigerung kann als eine für außenstehende Person nicht nachvollziehbare Ablehnung (also willentliche) Nichtdurchführung sein.
Wichtig in diesem Kontext ist, dass wir alle das Recht auf Ablehnung und Verweigerung haben und entsprechend respektieren. Häufig fallen jedoch recht schnell die Begrifflichkeiten „unterlassene Hilfeleistung“ und „Verwahrlosung“. Themen für einen gesonderten Blogeintrag.
Fazit
Absagen und Fehlanfahrten gilt es innerhalb der ambulanten Pflege und für ambulante Dienstleister zu vermeiden. Der Unterschied zwischen Nichtinanspruchnahme und Verweigerung sollte klar sein, deshalb ist abzuklären, weshalb bestimmte Leistungen nicht erbracht worden sind.
Jeder Mensch hat das Recht darauf, einzelne Leistungen abzulehnen.
Ambulante Pflegedienste und Selbständige sind wirtschaftliche Unternehmen, die ihre Kosten und Auslagen refinanziert bekommen müssen. Dafür sind transparente Regelungen im Pflegevertrag notwendig. Durch eine korrekte Dokumentation ist nachvollziehbar, ob eine Leistung grundlos verweigert oder nachvollziehbar nicht durchführbar war.
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